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DIE THEMEN
DER AUTOR MARIO TOBINO:
Mario Tobino (1910- 1990) wurde in der Provinz Viareggio/ Toskana geboren. Neben seiner Arbeit als
Schriftsteller arbeitete er viele Jahrzehnte als Arzt und Psychiater in psychiatrischen Kliniken.
Seine Romane und Erzählungen nehmen immer wieder Bezug auf die Themen von Wahnsinn und Ausgrenzung und wie sie sich zur Gesellschaft verhalten.
Unsere Beschäftigung konzentriert sich dabei auf drei seiner Werke: In Le libere donne di Magliano/ Die
freien Frauen von Magliano, das zuerst 1953 erschien und das auch ins Deutsche übersetzt wurde, schildert
er anhand von Szenen und Charakteriserungen die Zustände in den „Irrenhäusern“ seiner Zeit - so
kommen in den 50er Jahren auf 1039 „Verrückte“ im Krankenhaus 220 Pfleger, 19 Schwestern und ein (!)
Arzt.
In Il figlio del farmacista/ Der Sohn des Apothekers, einer Sammlung von Prosatexten, die sich zwischen realistischer autobiografischer Prosa und lyrischen Erinnerungen bewegt, schildert Tobino seine
eigene Lebensgeschichte und Beobachtungen der Menschen und der Natur, die ihn umgeben. In Sulla
spiaggia e di lá dal molo/ Am Strand und über den Hafen hinaus sammelt er Geschichten vom Meer, den
Schiffen und den Bewohnern der Stadt, um so exemplarisch die Zeit der 1920er bis 1940er Jahre zu
skizzieren.
Tobinos Texte wurden ursprünglich nicht für das Theater gedacht, sind aber aufgrund der Musikalität in
der Sprache und der Atmosphäre und den Bildern, die sie erschaffen, im Kern theatralisch. Auch die oft fragmentarische Form und die skizzenhaften Momentaufnahmen von Figuren und Szenen lassen sich sehr
gut in einen szenischen Kontext überführen. Inhaltlich ist dabei Tobino überraschend aktuell und insbesondere In seinen Reflektionen über die Position der „Wahnsinnigen“ und der Frage, wer diese Zuweisung bestimmt, seiner Zeit weit voraus.
DAS MOTIV DES NARRENSCHIFFS:
Neben dem literarischen Werk von Tobino ist das Motiv des Narrenschiffs der zentrale Ausgangspunkt dieses
Projekts. Das Narrenschiff wird seit dem Mittelalter, literarisch unter anderem bei Sebastian Brandt oder in
den Bildern von Hieronymus Bosch, immer wieder dazu verwendet, die Ränder der Ordnung auszuloten –
zwischen Meer und Land, zwischen der Gesellschaft und den Ausgestoßenen. Dabei wird nicht nur auf
aktuelle Situationen verwiesen, sondern auch immer eine Utopie formuliert. Nach Foucault können „nur die
Narren der Gefahr des Meeres gegenüber treten“, der Narr, der Verrückte ist also der erste und letzte Reisende, der sich auf einem Schiff in unbekannte Gebiete wagt, das zum Bindeglied zwischen den Welten wird.
Auf symbolischer Ebene ist das Schiff auch eine Kommunikationsmittel zwischen zwei Welten: es stellt eine
Verbindung zwischen den unterschiedlichen heimatlichen Häfen her und es ist ein Medium, um in die unerforschten Gebiete der „dunklen Wasser“, der Illusionen und Manien vorzudringen.
Also sind die Ausgeschlossenen und die Abgeschobenen von heute, die Flüchtlinge, die aus Afrika
vor Lampedusa an Land gehen, auf heutigen Narrenschiffen unterwegs? Oder ist nicht jeder, der sich auf
die Migration zwischen Ländern, Kulturen und Gesellschaften begibt ein „Narr“ im besten Sinne, also ein
Außenstehender, der mit einer anderen Freiheit auf die bestehenden Ordnungen schauen und sie beschreiben
kann? Anhand dieser Fragen wollen wir die Arbeit an den Texten von Mario Tobino um diese gleichzeitig universelle
wie aktuelle Perspektive erweitern.
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